Was kommt nach dem Berufsleben? Wenn Manager in den Ruhestand gehen, bleibt für viele die Sinnfrage: Was nun, wenn kein Applaus mehr kommt, keine Anfragen, kein Blick mehr auf mich gerichtet ist? – Während die einen sich auf die neue Freiheit freuen, kämpfen andere mit einem Gefühl, das oft unausgesprochen bleibt: der Angst, nicht mehr gebraucht zu werden – und damit auch nicht mehr gesehen zu werden.
Auch Michael Westphalen hatte Respekt vor dem, was ihn nach dem 30.09.2024 erwarten würde. Heute, 7 Monate später, (und das hätte er selbst am wenigsten erwartet) plagt das ehemalige Vorstandsmitglied der Frankfurter Sparkasse nicht der Verlust von Macht oder Verantwortung. Im Gegenteil: Was ihn beschäftigt, ist eine Beobachtung im eigenen Umfeld – und eine sehr persönliche Frage: „Woran liegt es, dass mir das Loslassen gelingt – und anderen nicht?“ Eine Sinnfrage der anderen Art – und eine, die viel mit Anerkennung, Identität und innerer Haltung zu tun hat. Seine Antworten darauf könnten auch anderen Führungskräften helfen, den Übergang nicht als Krise, sondern als bewusste Entwicklung zu gestalten.
Abschied auf Probe – mit Rolle rückwärts
Es war im Herbst 2018 als Michael Westphalen seinen Arbeitgeber um eine dreimonatige Auszeit bat – nicht, weil er nicht mehr konnte, wollte oder sollte, sondern aus einem anderen Grund. Der Manager wollte sich mit Mitte 50 einen Moment nehmen, um darüber nachzudenken: „Wie könnte es sein, wenn ich mal nicht mehr arbeite, keine große Verantwortung trage und zwischen Meetings, Entscheidungen und Kriseninterventionen jonglieren muss?“ Aus dieser Frage wurden ab Juli 2019 drei Monate mit drei Überschriften und einem Motto: „Für mich. Für uns. Für andere.“
Für mich. Einen Monat wanderte er allein durch Odenwald und Spessart.
Für uns. Einen Monat reiste Michael Westphalen mit seiner Frau im Wohnmobil durch Europa.
Für andere. Einen Monat half er freiwillig in einem Frühstücks Café für Obdachlose in Frankfurt.
Drei individuelle Erfahrungen, die ihn näher zu sich selbst und zu der Antwort führten: Was kommt nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben?
Ganz besonders ist ihm dabei ein Moment in Erinnerung geblieben: „Ich kam auf meiner Wanderung an einem Kloster vorbei und sah zufällig, dass dort in den nächsten Tagen eine ‚Sen-Mediation für Manager‘ angeboten wurde.“ Es war noch ein Platz frei. Michael Westphalen überlegte nicht lange und buchte den Kurs. Eine Entscheidung, die ihn nachhaltig beeinflusste, weil er die Kraft der Meditation erkannte. Weil ihm klar wurde, wie viele Menschen, die in hohen Führungspositionen Verantwortung tragen, sich schwer damit tun, loszulassen. Und weil er gespürt hat, dass es für ihn selbst persönlich noch ganz andere sinnstiftende Aufgaben geben könnte – abseits seines Arbeitsalltags im Top-Management.
Doch dann sollte alles ganz anders kommen. Zurück in der Bank – bis dato war er immer unterhalb des Vorstands mit Führungsaufgaben betraut gewesen – bot man ihm einen Posten im Vorstand an. Moment Mal! Statt Abschied, durchstarten? – Michael Westphalen dachte einige Tage darüber nach – und sagte zu. „Irgendwie hat es mich gereizt und ich dachte: Ich kann noch etwas bewirken“, erzählt der Manager. „Dies auch mit Blick auf meine Nachfolgerin, mit der ich viele Jahre eng und gut zusammengearbeitet hatte.“ Wichtig war Michael Westphalen dabei, einen bewussten und konsequenten Wissenstransfer zu ermöglichen – als Angebot, nicht als Pflicht. „Den Wissenstransfer haben wir gemeinsam gestaltet und das war für mich sehr erfüllend.“ Nach zwei intensiven Jahren zog er am Ende seiner Vertragslaufzeit schließlich den Schlussstrich. Nach einer sehr wertschätzenden Abschiedsfeier im September 2024 ging er in sein Büro, legte seine Krawatte und das Sakko ab und verließ die Bank.
Warum erleben andere den Abschied als Krise – und er nicht?
Während viele Ex-Manager mit Ängsten, Leere und dem Verlust von Einfluss kämpfen, weiß Michael Westphalen heute: „Ich konnte ohne Bedauern loslassen.“ Doch warum? Er begab sich auf eine erneute Suche und eine ehrliche Selbstreflexion, um dies zu verstehen. Mit Hilfe von Meditation, mit Hilfe von Gesprächen und mit Hilfe seiner Peer-Group. Mit dieser Peer-Group traf sich Michael Westphalen bereits seit mehr als zehn Jahren. Moderiert wird dieser geschützte Raum von Karen Wesselmann von RF/F.
Dabei erkannte Michael Westphalen einige zentrale Antworten auf seine Frage nach dem „Warum“:
- Er hatte sich nicht nur strategisch vorbereitet – sondern innerlich. „Ich habe mich nicht nur gefragt, was ich nach dem Ausscheiden aus der Bank tun möchte, sondern wer ich ohne meine Rolle bin.“
- Er hat seine Bedeutung nie ausschließlich aus Macht und Position gezogen. „Ich wusste: Mein Wert liegt nicht nur in der Funktion, sondern in der Person, die ich bin.“
- Er hat sich frühzeitig von Status-Denken gelöst. „Nicht mehr auf der großen Bühne zu stehen, war für mich kein Verlust, sondern eine neue Freiheit.“
- Er hat stabile private Beziehungen gepflegt. „Meine Welt war nie nur das Business, sondern Familie und Freundschaften außerhalb des Berufs waren und sind mein Anker.“
- Er hat sich stets hinterfragt. „Der regelmäßige, vertrauensvolle Austausch in unserer Peer Group mit anderen Führungskräften aus anderen Branchen war extrem wichtig für die Reflexion zu vielen Themen – auch zum Thema Bedeutungsverlust.“
Die wichtigste Erkenntnis: Bedeutung ist kein Titel, sondern eine Haltung
Viele Top-Manager, die nach dem Ausscheiden leiden, haben oft ihre ganze Identität um ihre Rolle gebaut. Der Titel war mehr als eine Berufsbezeichnung – er war ihr Selbstbild. Fällt die Position weg, bleibt eine Leerstelle. Wer sich hingegen frühzeitig mit seiner Identität als Mensch auseinandersetzt, kann den Abschied mit mehr Leichtigkeit gestalten. Michael Westphalen kam zu dem Schluss: „Ein wesentlicher Schlüssel zur Antwort auf die Frage, warum mir der Abschied vom Berufsleben gut gelingt, liegt in meiner Identität.“ Wenngleich seine Suche nach einer Antwort bis heute nicht vollständig abgeschlossen sei, habe er doch einiges Wesentliches für sich erkannt.
Die persönliche Formel für einen gelungenen Übergang in den Ruhestand:
- Den Abschied aktiv und langfristig gestalten: „Ich habe meinen Wissenstransfer organisiert und für eine geregelte Übergabe gesorgt, sodass ich ohne Sorgen gehen konnte.“
- Freiwilligkeit: „Loslassen habe ich bewusst initiiert – es war meine Entscheidung, nicht eine fremdbestimmte Veränderung. Eine Entscheidung, die auch mir nicht immer leicht gefallen ist, weil sie bedeutet, sich mit der Situation des Älterwerdens ernsthaft auseinanderzusetzen. Wer hier jedoch nicht selbstbestimmt agiert, läuft eben Gefahr, dass dann irgendwann andere für einen entscheiden.“
- Spiritualität und tägliche Reflexion: „Meditation und Achtsamkeit haben mir geholfen, mich aufs Wesentliche zu konzentrieren.“
- Die Erkenntnis: Ich bin auch wichtig ohne meinen Beruf: „Mein Selbstwert hängt nicht an meiner Funktion. Ich bin geliebt, unabhängig von meiner Karriere.“
- Eine vertrauensvolle Peer Group als Reflexionsanker: „Mein RF/F-Führungskreis war und ist ein wertvoller Raum, um meine Gedanken zu ordnen, den Abschied zu planen und zu verarbeiten.“
- Echte freundschaftliche Kontakte unabhängig vom Beruf pflegen: „Denn im Gegensatz zu ´Deal-Freunden` sind sie es, die mich in den nächsten 20 bis 30 Jahren meines Ruhestands begleiten.“
- Vorstellungen von dem was kommt – und wenige konkrete Pläne: „Eine wichtige Erkenntnis für mein Leben habe ich einer Liedzeile aus Robbie Williams Song ´Feel` entnommen: `I sit and talk to God, and he just laughs at my plans`. – Pläne schmieden und gleichzeitig zulassen, dass manchmal eh alles anders kommt, kann auch befreiend sein.
- Bedeutung neu definieren: „Ich bin nicht mein Titel. Ich bin Michael Westphalen – und das ist genug.“
Wie Peer-Group und Coaching beim Ausscheiden aus dem Beruf helfen können
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität sollte nicht erst im Ruhestand beginnen. Wer sich früh damit beschäftigt, kann sich besser und selbstbestimmter auf den Übergang vorbereiten – und ihn bewusst gestalten. Das weiß auch Michael Westphalen und hat seine langjährige Peer-Group immer wieder um Unterstützung gebeten. Dieser Peer-Austausch unter Moderation von Karen Wesselmann von RF/F hat ihm dabei geholfen Reflexion rechtzeitig anzustoßen. Die erfahrene Coachin hat ihm geholfen, Denkmuster zu hinterfragen, Ängste zu erkennen und neue Perspektiven zu entwickeln. „Eine Fähigkeit, die im Übrigen im gesamten Berufsleben Führungsarbeit auszeichnet – und die für Führungskräfte in jedem Alter hilfreich und wertvoll ist“, sagt Karen Wesselmann.
Drei bewährte Coaching-Methoden, die beim Übergang in den Ruhestand hilfreich sein können:
- Identitätsarbeit & Werte-Reflexion: Mit Methoden wie der Werte-Analyse werden persönliche Kernwerte herausgearbeitet. So erkennen Führungskräfte, was ihnen jenseits des Berufslebens wirklich wichtig ist.
- Zukunfts-Szenarien & Visionen: Mit Hilfe von Visualisierungsübungen reflektieren Führungskräfte, welche Möglichkeiten sie in ihrem neuen Lebensabschnitt haben und was ihnen dann Erfüllung bringt.
- Peer-Coaching & geschützte Reflexionsräume: Der ehrliche, vertrauensvolle Austausch mit Gleichgesinnten, z. B. in einem strukturierten Format wie dem von RF/F moderierten Führungskreis, hilft dabei, sich selbstkritisch zu hinterfragen, andere Perspektiven einzunehmen und neue Impulse zu gewinnen.
Wichtige Fragen zur Vorbereitung auf den Abschied von der Macht:
- Was gibt mir jenseits meines Berufes Sinn?
- Wer bin ich, wenn meine Funktion wegfällt?
- Welche Bedürfnisse wurden im Joballtag befriedigt (z.B. Anerkennung) und kann ich diese auf den Privatbereich transferieren?
- Welche Strukturen helfen mir, meine Identität neu zu definieren?
- Welche Routinen kann ich jetzt schon etablieren, um den Übergang leichter zu machen?
- Was bedeutet Erfolg für mich, wenn nicht mehr Karriere und Einfluss?
Michael Westphalen hat seinen Abschied erfolgreich gemeistert – weil er Antworten auf diese Fragen gefunden hat.
Fazit: Loslassen gelingt, wenn man sich selbst kennt
Michael Westphalen hat verstanden, dass das Ausscheiden aus dem Berufsleben nicht nur ein logistisches Projekt ist, sondern eine persönliche Reise. Heute sagt er: „Ich hätte nie gedacht, dass mir das so leichtfällt. Aber jetzt weiß ich, warum.“
Der Bedeutungsverlust ist eben nicht unausweichlich – er ist oft eine Frage der inneren Vorbereitung. Wer sich frühzeitig damit auseinandersetzt, kann diesen Übergang nicht nur bewältigen, sondern sogar genießen.